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In den letzten drei Jahrzehnten seines neunzigjährigen Lebens widmet sich der Naturforscher Jean-Henri Fabre einer gewaltigen Aufgabe. In maßstabgetreuen Aquarellen hält er alle Pilze, die er in der Umgebung seines Anwesens im südfranzösischen Serignan-du-Comtat sammelt, fest, um ihre Vielfalt für die Nachwelt zu bewahren. Zwischen 1885 und seinem Todesjahr 1915 zeichnet Fabre, der sich zu diesem Zweck eigens das Aquarellieren beibringt, fast 700 Pilzstudien.
In den Zeichnungen, deren Archivierung heute dem Muséum national d' Histoire naturelle in Paris obliegt, sind die Pilze so naturgetreu dargestellt, dass Betrachter der Bilder zu Lebzeiten Fabres sie zweifelsfrei erkennen und benennen können - sehr zum Vergnügen des Meisters, der darin jene Anerkennung findet, die ihm die akademische Welt verwehrt.
Heute sind viele der von Fabre gezeichneten Pilzsorten ausgestorben und jene, die die Menschen in den seit Fabres Tod vergangenen hundert Jahren nicht ausgerottet haben, sind dem heutigen Betrachter oft unbekannt. Die Aquarelle sind Zeuge dieser verschwundenen Vielfalt und von Fabres andauernder Hingabe an die geheimnisvollen Wesen. Anita Albus, Pilz- und Fabre-Kennerin, beschreibt die »rätselhaften Geschöpfe« in ihrem Vorwort.
»Keine Wurzel, kein Spross, kein Blatt, keine Blüte, rätselhafte Geschöpfe dunkler Herkunft, dem Reich der Verwesung entsprungene Sporenträger, Emporkömmlinge aus unterirdischem Geflecht oder aus holzdurchwucherndem Gespinst, Schmarotzer am lebenden Baum die einen, Fäulniszehrer die anderen, darunter baumtreue Umspinner der Saugwurzeln ihrer in gedeihlicher Symbiose mit ihnen lebenden Wahlverwandten: Kiefer mit Butterpilz, Kuhröhrling und Schmetterling, Fichte mit Gelbem Großfuß, Lärche mit Gold und Lärchenröhrling, Buche mit Satanspilz, Birke mit Birkenröhrling und Birkenreizker, Eiche mit Trüffel; Gestalten in allen Farben und Formen, Eier, Ohren, Zungen, Finger; Becher, Schalen, Trichter, Trompeten, Keulen, Knollen, Kugeln, Kronen, Korallen, Sterne, Schirme, Kappen und Hüte mit und ohne Schleier, in allen Stilen modischer Kollektionen, aus tropischen Gefilden eingeschleppte seltene rote Tintenfische und noch seltenere rote Gitterlaternen; Brutstätten der Fliegen und Käfer, duftende und stinkende, eine ganze Skala der Gerüche: nach frischem Mehl duftende oder nach verdorbenem, nach Anis, Obst, Kokosflocken, Apfelkompott, wie Juchtenleder riechend, wie Rettich, Rüben, rohe Kartoffeln, Lauch oder stinkend wie Heringe, verfaulter Kohl, Chlorwasser, Leuchtgas, Karbol und Aas.«
Das Buch ist bei "Matthes und Seitz Berlin" erschienen und kann bei eBook unter der ISBN 978-3-95757-031-4 bezogen werden.
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