Samstag, 9. Mai 2015

Voltaire: Über die Toleranz


Selbst wenn man nicht Christ ist, einen anderen Glauben hat oder im Atheismus lebt, Voltaires Werk "Über die Toleranz" sollte und müßte das Standardwerk jeder humanistischen (wörtlichgenommen) Bildung sein. Nimmt man das Sektierertum der Christen in jener Zeit gänzlich nur als Beispiel, lassen sich die Texte des Philosophen ohne Probleme nach heute und auf viele Konflikte übertragen.
Darunter fällt nicht nur der unsägliche Fanatismus (da wiederum Sektierer) des Islam, die blaupausengleich die gleichen Mechanismen anwenden, wie ehedem(?) die Christen und Juden. Darunter kann auch der unsägliche Glaube in politische und wirtschaftliche Systeme verstanden werden, sind sie doch in vielen Belangen einfache Ersatzreligionen.

Waren es bei Voltaire noch die Protestanten und Katholen (und deren Splitergruppen), die sich im Namen des ein und selben Gottes befehdeten, ist das Spiegelbild heute im Islam wiederzufinden: Schiiten und Sunniten (und Abwandlungen jeder Couleur). Alles wiederum im Namen eines Gottes; wobei angenommen werden kann, daß es der gleiche ist, den Christen und Juden ebenfalls anbeten.
Voltaire schlüsselt auf, wer ein Interesse daran haben kann, daß solchermaßen viele (kaum unterschiedliche) Lehren, dieses einen Gottes, von so vielen Gruppen, mit solchem Fanatismus verteidigten werden: "Fast immer sind es Schurken, die die Fanatiker lenken und ihnen den Dolch in die Hand spielen." An anderer Stelle schreibt er: "Gehen wir weiter zurück, so erweist sich die Kirchengeschichte nicht nur als eine Schule der Tugend, sondern auch als eine Schule der Ruchlosigkeit in den Beziehungen der Sekten untereinander."
Heute hat man vielfach erkannt, daß dieses Sektierertum ein bloses Machtinstrument interessierter Kreise ist und war. Die Schurken, die den Fanatikern "den Dolch in die Hand spielen", damals wie heute, waren und sind sehr weltliche Kreise. Doch der Fanatiker verblendet von falschen Versprechen, dummverkauft von angeblichen Wundern und Heiligen, er wird seinen Irrtum viel zu spät oder nie erkennen. Und die Schande der Religionen, die ihre Gläubigen in ihren Schriften und Reden verraten und belügen, können dies unbeschwert tun, den sie wissen: Am Ende ihres Lebens wird kein "Gottesgericht" stehen.
Voltaire weist nach, daß alte Glaubensgrundsätze ein Leben nach dem Tod nicht kannten, das ist ein Mystherium aus Indien, was sich die Kirchenschreiber zueigen machten. Voltaire: "Weder die ältern Juden noch die Ägypter, noch die Griechen, die ihre Zeitgenossen waren, glaubten, daß die Seele nach dem Tode in den Himmel käme."

Der Glaube an "einen Gott", ist ein imperialistischer Glaube. "Du sollst keine Götter neben mir haben!", in den meisten Religionen unfassbar; für Juden, Christen und Moslems das Fundament, das ihnen die Macht gab, sich unbequemer Gegnern zu entledigen. War doch vielfach nicht nur der eine Gott, sondern auch die eine Lehre gemeint, deren Niederschrift sich bei Voltaire wie folgt anhört: "Die Geschichtsschreiber machten sich ein Vergnügen daraus, sie anzuschwärzen, und man glaubt diesen Geschichtsschreibern aufs Wort, weil es damals keine Memoiren, keine Zeitungen, keine Dokumente gab. Die Geschichtsschreiber zitieren auch keine ältern. Man kann ihnen nicht widersprechen."
Und der gottesfürchtige Voltaire kommt zu dem Schluß: "aber die Christen wollten unbestreitbar, daß ihre Religion herrsche." Heute weiß man, daß dies auch die jüdische und islamische Religion will.
Natürlich gibt es Ausnahmen in den unterschiedlichen Lehren der einzelnen Religionen, jedoch, sie sind dieses Minderheiten (und wurden und werden wie Feinde der anderen Glaubensrichtungen behandelt).

Alle die imperialistischen Religionen waren und sind staatstragend. Ihre Verkünder waren es nicht immer. Voltaire stellt fest, daß die meisten "Märtyrer" nicht wegen ihres Glaubens verurteilt (und oft hingerichtet) wurden, sondern daß sie gegen geltendes Recht verstießen. Die verfälschten Biographien machten sie dann zu Heiligen. Oft genug wurden sie einfach von den eigenen Glaubensgenossen angeschwärzt, da sie an eine andere Lehre glaubten.
Um den Aussagen eine heutige Entsprechung zu geben, setzen wir Religion der Ideologie gleich: Sowohl die heute dazugekommenen Religionen "Kapitalismus" und vor allen Dingen der "Faschismus" haben bewiesen, daß sie nicht weniger imperialistisch sind in ihren "Glaubenssätzen" als ihre religiösen Genossen. Der "Sozialismus" hatte noch keine Chance sich zu beweisen, was in seinem Namen geschah, war weit entfernt von dem, was die Vordenker ihm zugedacht haben (unter anderem Religionsfreiheit).
"Kommunismus" wäre ein Ideal der breiten Masse und daher undenkbar, bei den heutigen Macht- (= Wirtschafts-) strukturen.

Voltaire schreibt: "Die Natur hat zu allen Menschen gesprochen: Ich lies euch alle schwach und unwissend geboren werden, damit ihre einige Minuten auf dieser Erde lebt und ihr sie mit euren Leichnamen düngt. (...) Seid ihr alle der gleichen Meinung, was sicher nie geschehen wird, so sollt ihr, wenn es auch nur einen einzigen Menschen mit einer anderen Ansicht gibt, sie ihm zugute halten, den ich bin es, der ihn so denken lässt, wie er denkt."
Und: "Was ist Toleranz? Sie ist Menschlichkeit überhaupt. Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, daß wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen."
Ein Satz bleibt noch zu zitieren: "Was du nicht willst, das man dir tun soll, das tue du auch nicht."

ISBN: 978-3-518-46656-8

Die Streitschrift erschien erstmals 1763. Das Buch ist in der neusten Auflage 2015 beim "Suhkamp Verlag" veröffentlicht worden. Weitere Verlagsinformationen hier.

Das vorliegende Exemplar ist ein eBook (da es von "Amazon" nur im "Kindle"-Format und zudem nicht als Rezensionsexemplar zu haben ist, kann es hierfür natürlich auch keine Einkaufsempfehlung geben).

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